Über Statistiken, neue Erkenntnisse und darüber, dass Deutschland einfach Glück gehabt hat
Das unten ist ein sehr langer Text .. ich werde mal die wichtigsten Zitate da rausziehen .. Rest müsst Ihr selbst lesen . .ich kann nicht alles hier reinkopieren.
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16.06.2020
Der Professor an der Uniklinik Freiburg setzt sich schon lange dafür ein, dass medizinische Entscheidungen evidenzbasiert getroffen werden, auf Basis gesicherter Fakten. Antes war zudem viele Jahre Leiter des Deutschen Cochrane-Zentrums, wo man analysiert, welche klinischen Studien wirklich aussagekräftig sind und welche nicht.
Gerd Antes: Also, von den Wissenslücken, die ich damals beklagt habe, ist eigentlich erschreckend wenig gefüllt worden. Wo es gefüllt worden ist, das ist an einer völlig anderen Front. Das sind die klinischen Verläufe. Also, wenn ich mit Ärzten spreche, dann höre ich immer wieder, dass wir so langsam besser begreifen, was das Virus eigentlich macht. Das war ja immer noch bis vor Kurzem in einigen Lagern die Meinung, dass wir eigentlich nur eine neue Grippe hier entdeckt haben, und das wird immer klarer, dass das nicht so ist. Also, zum Beispiel Embolien oder Thrombosen und andere Erscheinungen im Krankheitsbild und im Krankheitsverlauf, das hat enorm zugenommen, aber die Dinge, die ich damals beklagt habe, sind weiterhin unklar.
Antes: Ja, wir wissen beides nicht. Wir wissen nicht, wer schon infiziert war, und wir wissen auch nicht, wer gegenwärtig infiziert ist. Also die Dunkelziffer hat auch zwei Dimensionen, und wenn man mal mit der zweiten anfängt, die Zahlen, die wir von morgens bis abends in den Medien sehen, die sind nicht die Anzahl der Infizierten, sondern das ist die Anzahl der positiven Tests. Da diese Tests völlig willkürlich und, soweit ich das inzwischen auch belegen kann, unter chaotischen Bedingungen ausgewählt werden und durchgeführt werden, können wir daraus nichts ziehen, außer dass wir vielleicht in dem einen Fall wissen, dass jemand, der den Test gemacht hat, positiv ist. Bei dem anderen ist es objektiv doch schwieriger, die schon mal infiziert waren, die müssen auch getestet werden, und das sind dann die sogenannten Antikörpertests als eine Möglichkeit, und da gab es bis vor Kurzem überhaupt keine zuverlässigen Tests. Also, das ist wirklich auch nicht nur so, dass es schlecht organisiert ist, es gibt dann auch nicht die Werkzeuge, um das zuverlässig zu machen. Das hat sich in den letzten Wochen massiv verbessert.
Krauter: Das hängt auch mit dem Test von [der Schweizer Pharmafirma] Roche unter anderem zusammen, der ja sehr präzise sein soll. Können Sie das bestätigen?
Antes: Also, ich kann da nur das bestätigen, was ich lese. Bei Tests gibt es ja immer die beiden bösen Fehler, jemanden falsch positiv, also falsch ehemals als infiziert zu bezeichnen, oder jemanden zu übersehen, also falsch negativ. Die beiden Zahlen muss ich glauben, da sieht das gut aus. Vor allen Dingen auch was entscheidend ist dabei, diese Tests sind ja aufwendig. Also, ich habe es nicht gemacht bisher, aber der Rachenabstrich muss sehr unangenehm sein, auch der Nasenabstrich, und deswegen auch die Analyse danach ist aufwendig und teuer, und auch das soll deutlich verbessert worden sein durch den Roche-Test.
Antes: Ja, einmal ist die Erfassung von Todesursachen ein dauernder Krisenpunkt, auch bei anderen Erkrankungen und Sterbefällen. Deswegen, es gibt in Deutschland einen Pathologen, einen Rechtsmediziner in Hamburg, der von Anfang an ganz konsequent auch obduziert hat. Der kommt da mit völlig anderen Ergebnissen her, als wir sonst in den Statistiken lesen. Dann ist es bei den Ländern zum Beispiel verschieden. Soweit ich gelesen habe, ist in Belgien jeder, der auch nur irgendwie mit Corona in Verbindung steht, infiziert ist, ein Corona-Toter, aber ob das jetzt tatsächlich ein Corona-Toter ist oder, wie bei uns das dann gesehen wird, massive Begleiterkrankungen dort sind oder auch Vorerkrankungen da sind, ein stark geschwächtes Immunsystem, dass das dann ein tatsächlicher Corona-Toter ist oder, wie es mal der Tübinger Oberbürgermeister zynisch gesagt hat, dass da jemand zu früh gestorben ist oder ein vorgezogener Tod eingetreten ist, das ist für die Statistik natürlich extrem schwierig, dort ein objektives Bild zu schaffen.
Krauter: Jetzt haben wir die zwei wichtigsten Punkte angesprochen, die Sie damals genannt haben. Ich habe noch weitere auf meinem Zettel. Stichwort Infektiosität: Wie viele steckt jemand an, der infiziert ist? Stichwort Immunität: Wie lang ist man immun, wenn man die Infektion durchlaufen hat? Sind das auch die Fragen, die aus Ihrer Sicht die wichtigen sind, oder gibt es noch andere?
Antes: Ja, die Immunität ist natürlich – wie lange hält das an – eine ganz zentrale Frage, weil das Schlagwort „Durchseuchung“ ja immer wieder auftaucht. Dafür ist natürlich extrem wichtig, dass dieser Immunstatus aufrecht erhalten wird und nicht nach einem Dreivierteljahr wieder verschwindet. Noch schwieriger ist die Frage der Übertragung, weil damit ja zusammenhängt, wie wir die Eindämmung gestalten. Da gibt es auch nur so Moden. Gegenwärtig ist jetzt gerade wieder das Schlagwort „Superspreader“ umlaufend, also jemand, der viele ansteckt. Dann sehe ich immer wieder auch, gerade in Talkshows, wilde Spekulationen, was da eigentlich passiert, aber dass man es genau weiß, stimmt nicht, und wir sind auch gegenwärtig dort weit davon entfernt. Selbst diese banalen Angaben wie anderthalb Meter Abstand zu halten, ist eigentlich, bösartig gesagt, eher eine Hausnummer.
Antes: Nein, ich glaube, Deutschland ist gegenwärtig auf einem katastrophalen Weg. Dass wir irgendwann mal diesen Shutdown gemacht haben, das war sicherlich evidenzfrei, das war eine Panikreaktion. Ich persönlich glaube, das war richtig, weil wir einfach nicht mehr wussten – da hat man erst mal den Schutz maximiert –, aber gegenwärtig hätten wir die Möglichkeit, sogenannte Begleitforschung zu machen und differenzierter zu öffnen und dann wirklich die Daten zu erheben, was da passiert, aber so, wie wir gerade gegenwärtig sehen, dass die Wissenschaft damit beschäftigt werden könnte, wie wir Mallorca zurückerobern, das ist natürlich wissenschaftlich gesehen und im Sinne von Erkenntnisgewinn absurd. Insofern bin ich da nicht optimistisch. Wenn jetzt tatsächlich die Zahlen wieder hochschnellen sollten, dann werden wir ganz, ganz schlecht dastehen, zu wissen, wie wir jetzt differenziert doch wieder Dinge zumachen, aber nicht alles.
Antes: Ja, zumindest in gewissen Maßen, weil wir heute gar nicht wissen …, also, wenn wir zum Beispiel schauen, in Israel tauchen in einer Schule Infektionen auf, dann wird die ganze Schule zugemacht. Was wir eigentlich brauchen, ist doch jetzt irgendwie ein Testsystem, wo wir eine Kontrolle behalten. Das ist eigentlich das, wo ich am meisten Hoffnung sehe, dass wir das Testsystem systematisieren und systematisch wirklich bei allen ein-, zweimal die Woche durchführen und dann kleine Einheiten wieder zumachen können und in Quarantäne schicken, aber nicht die großen, weil wir dann ja ökonomisch völlig ins Straucheln kommen.
Krauter: Wie sieht es mit den Wissenschaftlern aus? Haben die jetzt die richtigen Studien angestrengt, um Klarheit zu bekommen bei diesen Wissenslücken?
Antes: Nein, das ist ein anderer sehr beklagenswerter Zustand. Wir haben inzwischen eine unglaubliche Anzahl an Studien, die zum Thema COVID-19 begonnen wurde oder auch schon Publikationen, also tausende, und alles ist völlig unkoordiniert, sowohl global, aber auch in Deutschland. Was einfach fehlt hier, ich nenne das immer einen Masterplan. Also, wir wissen ja, wo die ganzen Fragen offen sind, und die könnte man ganz gezielt angehen mit Studien, aber dann müsste man wirklich eine Koordination haben. Da versagt unser System gegenwärtig völlig.
Antes: Also,ich glaube, das Robert Koch-Institut ist gegenwärtig einfach damit überfordert und ist auch nicht die richtige Institution, um solche Forschungsplanungen zu machen. Aus meiner Sicht völlig abgetaucht ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung, oder auch die Großforschungseinrichtungen wie Helmholtz zum Beispiel könnten das machen, aber gegenwärtig sehe ich nicht, dass es initiiert wird. Da das Ganze ja auch ministeriums- und fachübergreifend ist, müsste aus meiner Sicht das Bundeskanzleramt hier auch versuchen – nicht dirigistisch einzugreifen, aber zumindest koordinierend. Also, ich bin neulich mal gefragt worden, plädieren Sie jetzt für Planwirtschaft in der Wissenschaft, und da habe ich gesagt, na ja, der Begriff ist vielleicht nicht der richtige, aber im Prinzip schon. Die Konkurrenz von Wissenschaftlern, die ja so heilsam sein soll, die ist an der Stelle natürlich völlig fehl am Platz, weil wir damit eher in Verschwendung, unnötige Wiederholung oder auch Scheitern durch schlechte Planung stolpern. An der Stelle, glaube ich, da ist ein enormes Potenzial, zu verbessern, aber das wird gegenwärtig nicht genutzt.
Antes: Also, wir haben, glaube ich, schon einen Mittelweg gefunden, aber auch dieser Mittelweg ist irgendwie nicht erklärbar. Also, wenn man auf die Länder schaut, wo auch die Maßnahmen ähnlich aussehen, dann sind wir in jeder Beziehung glimpflich davongekommen bisher, aber eigentlich wissen wir nicht so richtig, warum. Ich glaube, ein Teil davon war, zumindest zu Anfang, die Disziplin der Bevölkerung, die sehe ich gerade im Moment massiv bröckeln, aber kein Mensch kann erklären, warum es zum Beispiel, wenn man jetzt mal Schweden, Großbritannien, Spanien, Frankreich und Italien anschaut, warum da diese Riesenunterschiede sind. Die meisten Erklärungen, die ich da sehe, die sind eigentlich Spekulation.
Antes: Ich würde sagen beides. Wir haben ganz eindeutig Glück gehabt, aber es gibt auch noch diese Faktoren. Also, Prognose – und das geht von der Erkrankung des Einzelnen, wo jetzt zum Beispiel gegenwärtig die Blutgruppe unter Verdacht steht, dass zum Beispiel Personen mit Blutgruppe A einen schwereren Verlauf haben als Personen mit Blutgruppe null –, also, die prognostischen Faktoren für Verläufe, das ist sowieso wissenschaftlich immer die größte Herausforderung. Da sind noch beliebig viele Faktoren, die wir nicht mal ansatzweise begriffen haben, von Verläufen einzelner Personen bis hin auch zu Steuerung und zu Geschwindigkeit auf die Ausbreitung und Übertragung. Das ist eigentlich die größte Herausforderung, das jetzt wirklich systematisch anzugehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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LG
Renate
16.06.2020
Statistiker zu COVID-19„Viele Faktoren haben wir nicht mal ansatzweise begriffen“
Deutschland
sei in Bezug auf Corona glimpflich davongekommen, ohne zu wissen warum,
sagte der Medizinstatistiker Gerd Antes im Dlf. Es gebe noch
erstaunlich viele Wissenslücken, deren Erfoschung zentral koordiniert
werden sollte. Konkurrenz unter Wissenschaftlern sei jetzt fehl am
Platze.
„Wir brauchen bessere Daten, um künftig fundierter entscheiden zu
können, welche Maßnahmen sinnvoll sind und welche nicht.“ Das sagte Gerd
Antes, einer der renommiertesten Statistikexperten in Deutschland, vor
zehn Wochen der Zeitschrift „Der Spiegel“.Der Professor an der Uniklinik Freiburg setzt sich schon lange dafür ein, dass medizinische Entscheidungen evidenzbasiert getroffen werden, auf Basis gesicherter Fakten. Antes war zudem viele Jahre Leiter des Deutschen Cochrane-Zentrums, wo man analysiert, welche klinischen Studien wirklich aussagekräftig sind und welche nicht.
„Klinikärzte begreifen langsam besser, was das Virus eigentlich macht“
Ralf Krauter: Welche Wissenslücken bezüglich des neuen Corona-Virus wurden seit Ende März geschlossen?Gerd Antes: Also, von den Wissenslücken, die ich damals beklagt habe, ist eigentlich erschreckend wenig gefüllt worden. Wo es gefüllt worden ist, das ist an einer völlig anderen Front. Das sind die klinischen Verläufe. Also, wenn ich mit Ärzten spreche, dann höre ich immer wieder, dass wir so langsam besser begreifen, was das Virus eigentlich macht. Das war ja immer noch bis vor Kurzem in einigen Lagern die Meinung, dass wir eigentlich nur eine neue Grippe hier entdeckt haben, und das wird immer klarer, dass das nicht so ist. Also, zum Beispiel Embolien oder Thrombosen und andere Erscheinungen im Krankheitsbild und im Krankheitsverlauf, das hat enorm zugenommen, aber die Dinge, die ich damals beklagt habe, sind weiterhin unklar.
„Unter chaotischen Bedingungen ausgewählt„, wer getestet wird
Krauter: Kommen wir mal auf diese Stichwörter zu sprechen: Eins war damals die Dunkelziffer, also man weiß gar nicht genau, wie viele Menschen tatsächlich schon mit dem Virus mal infiziert waren. Warum ist das so schwierig, sich da ein klares Bild zu verschaffen, wo es doch inzwischen so viele Tests gibt, so viel getestet wird und auch große Populationsstudien inzwischen ja laufen?Antes: Ja, wir wissen beides nicht. Wir wissen nicht, wer schon infiziert war, und wir wissen auch nicht, wer gegenwärtig infiziert ist. Also die Dunkelziffer hat auch zwei Dimensionen, und wenn man mal mit der zweiten anfängt, die Zahlen, die wir von morgens bis abends in den Medien sehen, die sind nicht die Anzahl der Infizierten, sondern das ist die Anzahl der positiven Tests. Da diese Tests völlig willkürlich und, soweit ich das inzwischen auch belegen kann, unter chaotischen Bedingungen ausgewählt werden und durchgeführt werden, können wir daraus nichts ziehen, außer dass wir vielleicht in dem einen Fall wissen, dass jemand, der den Test gemacht hat, positiv ist. Bei dem anderen ist es objektiv doch schwieriger, die schon mal infiziert waren, die müssen auch getestet werden, und das sind dann die sogenannten Antikörpertests als eine Möglichkeit, und da gab es bis vor Kurzem überhaupt keine zuverlässigen Tests. Also, das ist wirklich auch nicht nur so, dass es schlecht organisiert ist, es gibt dann auch nicht die Werkzeuge, um das zuverlässig zu machen. Das hat sich in den letzten Wochen massiv verbessert.
Krauter: Das hängt auch mit dem Test von [der Schweizer Pharmafirma] Roche unter anderem zusammen, der ja sehr präzise sein soll. Können Sie das bestätigen?
Antes: Also, ich kann da nur das bestätigen, was ich lese. Bei Tests gibt es ja immer die beiden bösen Fehler, jemanden falsch positiv, also falsch ehemals als infiziert zu bezeichnen, oder jemanden zu übersehen, also falsch negativ. Die beiden Zahlen muss ich glauben, da sieht das gut aus. Vor allen Dingen auch was entscheidend ist dabei, diese Tests sind ja aufwendig. Also, ich habe es nicht gemacht bisher, aber der Rachenabstrich muss sehr unangenehm sein, auch der Nasenabstrich, und deswegen auch die Analyse danach ist aufwendig und teuer, und auch das soll deutlich verbessert worden sein durch den Roche-Test.
„Wilde Spekulationen“ in Umlauf
Krauter: Das heißt, an dieser Front werden wir vielleicht in den nächsten Monaten dann doch recht bald Klarheit bekommen. Kommen wir auf den zweiten Unsicherheitsfaktor zu sprechen, den Sie Ende März erwähnt haben, Stichwort Letalität (Sterblichkeitsrate): Warum lässt sich denn die Frage, wie tödlich das Virus eigentlich ist, ist bis heute gar nicht so genau beantwortet. Da gehen die Meinungen ja auch sehr auseinander.Antes: Ja, einmal ist die Erfassung von Todesursachen ein dauernder Krisenpunkt, auch bei anderen Erkrankungen und Sterbefällen. Deswegen, es gibt in Deutschland einen Pathologen, einen Rechtsmediziner in Hamburg, der von Anfang an ganz konsequent auch obduziert hat. Der kommt da mit völlig anderen Ergebnissen her, als wir sonst in den Statistiken lesen. Dann ist es bei den Ländern zum Beispiel verschieden. Soweit ich gelesen habe, ist in Belgien jeder, der auch nur irgendwie mit Corona in Verbindung steht, infiziert ist, ein Corona-Toter, aber ob das jetzt tatsächlich ein Corona-Toter ist oder, wie bei uns das dann gesehen wird, massive Begleiterkrankungen dort sind oder auch Vorerkrankungen da sind, ein stark geschwächtes Immunsystem, dass das dann ein tatsächlicher Corona-Toter ist oder, wie es mal der Tübinger Oberbürgermeister zynisch gesagt hat, dass da jemand zu früh gestorben ist oder ein vorgezogener Tod eingetreten ist, das ist für die Statistik natürlich extrem schwierig, dort ein objektives Bild zu schaffen.
Krauter: Jetzt haben wir die zwei wichtigsten Punkte angesprochen, die Sie damals genannt haben. Ich habe noch weitere auf meinem Zettel. Stichwort Infektiosität: Wie viele steckt jemand an, der infiziert ist? Stichwort Immunität: Wie lang ist man immun, wenn man die Infektion durchlaufen hat? Sind das auch die Fragen, die aus Ihrer Sicht die wichtigen sind, oder gibt es noch andere?
Antes: Ja, die Immunität ist natürlich – wie lange hält das an – eine ganz zentrale Frage, weil das Schlagwort „Durchseuchung“ ja immer wieder auftaucht. Dafür ist natürlich extrem wichtig, dass dieser Immunstatus aufrecht erhalten wird und nicht nach einem Dreivierteljahr wieder verschwindet. Noch schwieriger ist die Frage der Übertragung, weil damit ja zusammenhängt, wie wir die Eindämmung gestalten. Da gibt es auch nur so Moden. Gegenwärtig ist jetzt gerade wieder das Schlagwort „Superspreader“ umlaufend, also jemand, der viele ansteckt. Dann sehe ich immer wieder auch, gerade in Talkshows, wilde Spekulationen, was da eigentlich passiert, aber dass man es genau weiß, stimmt nicht, und wir sind auch gegenwärtig dort weit davon entfernt. Selbst diese banalen Angaben wie anderthalb Meter Abstand zu halten, ist eigentlich, bösartig gesagt, eher eine Hausnummer.
Planvoller öffnen und Effekte erforschen
Krauter: Das heißt, da sind immer noch viele Hypothesen im Raum, für die sozusagen aus Sicht der evidenzbasierten Medizin klare Belege fehlen. Sehen Sie uns in Deutschland auf einem guten Weg, dass wir diese jetzt benannten verbliebenen Wissenslücken bald schließen können?Antes: Nein, ich glaube, Deutschland ist gegenwärtig auf einem katastrophalen Weg. Dass wir irgendwann mal diesen Shutdown gemacht haben, das war sicherlich evidenzfrei, das war eine Panikreaktion. Ich persönlich glaube, das war richtig, weil wir einfach nicht mehr wussten – da hat man erst mal den Schutz maximiert –, aber gegenwärtig hätten wir die Möglichkeit, sogenannte Begleitforschung zu machen und differenzierter zu öffnen und dann wirklich die Daten zu erheben, was da passiert, aber so, wie wir gerade gegenwärtig sehen, dass die Wissenschaft damit beschäftigt werden könnte, wie wir Mallorca zurückerobern, das ist natürlich wissenschaftlich gesehen und im Sinne von Erkenntnisgewinn absurd. Insofern bin ich da nicht optimistisch. Wenn jetzt tatsächlich die Zahlen wieder hochschnellen sollten, dann werden wir ganz, ganz schlecht dastehen, zu wissen, wie wir jetzt differenziert doch wieder Dinge zumachen, aber nicht alles.
Forschung „ist völlig unkoordiniert“
Krauter: Das heißt, Ihr Plädoyer wäre gewesen, den Lockdown partiell aufzuheben, um genau zu schauen, welche Maßnahmen welchen Effekt haben?Antes: Ja, zumindest in gewissen Maßen, weil wir heute gar nicht wissen …, also, wenn wir zum Beispiel schauen, in Israel tauchen in einer Schule Infektionen auf, dann wird die ganze Schule zugemacht. Was wir eigentlich brauchen, ist doch jetzt irgendwie ein Testsystem, wo wir eine Kontrolle behalten. Das ist eigentlich das, wo ich am meisten Hoffnung sehe, dass wir das Testsystem systematisieren und systematisch wirklich bei allen ein-, zweimal die Woche durchführen und dann kleine Einheiten wieder zumachen können und in Quarantäne schicken, aber nicht die großen, weil wir dann ja ökonomisch völlig ins Straucheln kommen.
Krauter: Wie sieht es mit den Wissenschaftlern aus? Haben die jetzt die richtigen Studien angestrengt, um Klarheit zu bekommen bei diesen Wissenslücken?
Antes: Nein, das ist ein anderer sehr beklagenswerter Zustand. Wir haben inzwischen eine unglaubliche Anzahl an Studien, die zum Thema COVID-19 begonnen wurde oder auch schon Publikationen, also tausende, und alles ist völlig unkoordiniert, sowohl global, aber auch in Deutschland. Was einfach fehlt hier, ich nenne das immer einen Masterplan. Also, wir wissen ja, wo die ganzen Fragen offen sind, und die könnte man ganz gezielt angehen mit Studien, aber dann müsste man wirklich eine Koordination haben. Da versagt unser System gegenwärtig völlig.
„Für Planwirtschaft in der Wissenschaft“
Krauter: Was müsste passieren, wer sollte das in die Hand nehmen, aus Ihrer Sicht?Antes: Also,ich glaube, das Robert Koch-Institut ist gegenwärtig einfach damit überfordert und ist auch nicht die richtige Institution, um solche Forschungsplanungen zu machen. Aus meiner Sicht völlig abgetaucht ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung, oder auch die Großforschungseinrichtungen wie Helmholtz zum Beispiel könnten das machen, aber gegenwärtig sehe ich nicht, dass es initiiert wird. Da das Ganze ja auch ministeriums- und fachübergreifend ist, müsste aus meiner Sicht das Bundeskanzleramt hier auch versuchen – nicht dirigistisch einzugreifen, aber zumindest koordinierend. Also, ich bin neulich mal gefragt worden, plädieren Sie jetzt für Planwirtschaft in der Wissenschaft, und da habe ich gesagt, na ja, der Begriff ist vielleicht nicht der richtige, aber im Prinzip schon. Die Konkurrenz von Wissenschaftlern, die ja so heilsam sein soll, die ist an der Stelle natürlich völlig fehl am Platz, weil wir damit eher in Verschwendung, unnötige Wiederholung oder auch Scheitern durch schlechte Planung stolpern. An der Stelle, glaube ich, da ist ein enormes Potenzial, zu verbessern, aber das wird gegenwärtig nicht genutzt.
„Disziplin der Bevölkerung bröckelt massiv“
Krauter: Also mehr Koordination wäre sinnvoll in diesem Bereich, sagen Sie, um schneller klar zu sehen bei den wichtigen Fragen, die ja dann letztlich auch Einfluss auf die Politik haben, wie man künftig mit der Pandemie umgehen wird. Ich würde Sie zum Abschluss gerne noch mal fragen, haben wir es in Deutschland geschafft, einen vernünftigen Mittelweg zu schaffen zwischen Alarmismus und Verharmlosung der Corona-Pandemie, oder wo würden Sie uns da sehen auf welchem Kurs, wenn Sie zurückblicken die letzten drei Monate?Antes: Also, wir haben, glaube ich, schon einen Mittelweg gefunden, aber auch dieser Mittelweg ist irgendwie nicht erklärbar. Also, wenn man auf die Länder schaut, wo auch die Maßnahmen ähnlich aussehen, dann sind wir in jeder Beziehung glimpflich davongekommen bisher, aber eigentlich wissen wir nicht so richtig, warum. Ich glaube, ein Teil davon war, zumindest zu Anfang, die Disziplin der Bevölkerung, die sehe ich gerade im Moment massiv bröckeln, aber kein Mensch kann erklären, warum es zum Beispiel, wenn man jetzt mal Schweden, Großbritannien, Spanien, Frankreich und Italien anschaut, warum da diese Riesenunterschiede sind. Die meisten Erklärungen, die ich da sehe, die sind eigentlich Spekulation.
„Wir haben ganz eindeutig Glück gehabt“
Krauter: Heißt das, vielleicht haben wir auch nur einfach Glück gehabt, oder heißt das, da gibt es dann doch noch Faktoren, die wir bisher noch gar nicht erfasst haben, die relevant sind bei der Ausbreitung dieser Seuche?Antes: Ich würde sagen beides. Wir haben ganz eindeutig Glück gehabt, aber es gibt auch noch diese Faktoren. Also, Prognose – und das geht von der Erkrankung des Einzelnen, wo jetzt zum Beispiel gegenwärtig die Blutgruppe unter Verdacht steht, dass zum Beispiel Personen mit Blutgruppe A einen schwereren Verlauf haben als Personen mit Blutgruppe null –, also, die prognostischen Faktoren für Verläufe, das ist sowieso wissenschaftlich immer die größte Herausforderung. Da sind noch beliebig viele Faktoren, die wir nicht mal ansatzweise begriffen haben, von Verläufen einzelner Personen bis hin auch zu Steuerung und zu Geschwindigkeit auf die Ausbreitung und Übertragung. Das ist eigentlich die größte Herausforderung, das jetzt wirklich systematisch anzugehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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LG
Renate
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