Mit wichtigen Infos über das Lüftungsverhalten in der kalten Jahreszeit
Den Text übernehme ich einfach mal hierher.
Quelle:
...
Aerosolforscher: “Wir müssen ein ganz anderes Lüftungsverhalten entwickeln”
- Aerosole rücken bei der Übertragung des Coronavirus immer mehr in den Fokus.
- Topingenieur
und Wissenschaftler Martin Kriegel erforscht diese kleinen, teilweise
mit Viren beladenen Partikel seit mehreren Jahren.
- Im RND-Interview erklärt er, warum ihm der Schulbetrieb immer noch Kopfzerbrechen bereitet – und wie man künftig lüften sollte.
02.08.2020, 13:56 Uhr
Berlin. Zu Beginn der Corona-Pandemie war
sich die Wissenschaft weitgehend einig, dass Sars-CoV-2 vor allem über
Tröpfcheninfektionen übertragen wird. Inzwischen gelten auch Aerosole
als Übertragungsweg. Martin Kriegel, Leiter des
Hermann-Rietschel-Instituts an der Technischen Universität Berlin, hat
diese Partikel gleich in mehreren Studien untersucht.
Herr Kriegel, was sind Aerosole eigentlich?
Der Begriff Aerosole ist eigentlich ein Kunstbegriff. Letztendlich sind
es feste oder flüssige Partikel, die so klein sind, dass sie nicht mehr
der Schwerkraft unterliegen. Da sich die Luft in Innenräumen und
draußen ständig bewegt – auch wenn wir das teilweise nicht spüren –,
schweben diese Teilchen aufgrund ihres ganz, ganz geringen Gewichtes
überall herum. Sie sinken also nicht sofort zu Boden, sondern werden von
der Luft getragen und können deshalb stundenlang im Raum schweben.
Aerosole sind also ideal luftgetragene Teilchen. Es heißt immer,
Aerosole sind kleiner als fünf Mikrometer – solche festen Grenzen gibt
es eigentlich gar nicht.
Das Robert Koch-Institut schreibt Aerosolen aber auch diese Größenordnung zu.
Das kann man aber nicht so sagen. Draußen bei Wind wehen selbst
Sandkörner von einem Kontinent zum anderen. Ein Beispiel wäre der
Saharasand, der sich auf der ganzen Welt verteilt. Im Prinzip sind
Sandkörner dann auch Aerosole, weil sie sich stundenlang in der Luft
bewegen. Wenn wir von Aerosolen sprechen, meinen wir eben kleinste
Teilchen, die ideal luftgetragen sind.
Worin unterscheiden sich eine Tröpfchen- und eine Aerosolinfektion?
Es gibt auch hier keine scharfe Grenze, ab wann man von Tröpfchen oder
von Aerosolen spricht. Tröpfchen sind im Gegensatz zu Aerosolen
allerdings tatsächlich zu sehen. Außerdem fallen sie sehr schnell zu
Boden, sodass bei einer Tröpfcheninfektion ein relativ dichter Kontakt
zwischen zwei oder mehreren Menschen bestehen muss. Auf der
Tröpfcheninfektion basieren die jetzt geltenden Abstandsregelungen von
1,5 bis zwei Metern. Zudem können Tröpfchen nicht so stark eingeatmet
werden wie Aerosole. Meist bleiben sie eher in den oberen Atemwegen oder
treffen uns auf anderen Schleimhäuten, während Aerosole tief in die
Lunge eindringen können.
Warum wurde eine Aerosolinfektion bei der Übertragung des Coronavirus erst spät in Betracht gezogen?
Ich denke, das ist auf die Beobachtungen des Infektionsgeschehens
zurückzuführen. Mediziner weltweit haben das Ausbruchsgeschehen
analysiert und irgendwann festgestellt, dass es keinen anderen Weg mehr
geben kann als eine Aerosolinfektion. Allerdings kann man von einer
Aerosolübertragung erst sprechen, wenn Personen sehr weit voneinander
entfernt waren und sich trotzdem infiziert haben. Erste Hinweise darauf
gab es in einem Restaurant in Wuhan, wo Gäste am Coronavirus erkrankt
waren, die an völlig verschiedenen Tischen gesessen und auch sonst keine
gemeinsamen Wege oder Begegnungen hatten. Also konnte eigentlich nur
eine Aerosolinfektion als Ursache infrage kommen.
Mehr als 200 Mediziner hatten an die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) appelliert, der Übertragung von
Sars-CoV-2 durch Aerosole eine stärkere Bedeutung zuzuschreiben. Die WHO
hatte jedoch nur die Tröpfcheninfektion anerkannt. Erst jetzt hat die
Organisation ihre Leitlinie aktualisiert. Können Sie dieses Zögern
nachvollziehen?
Nein, es ist für mich
unverständlich, warum die WHO so lange gezögert hat, die
Aerosolkomponente in ihrer Leitlinie aufzunehmen. Das Robert
Koch-Institut hat schon im Frühjahr auf diesen Übertragungsweg
aufmerksam gemacht. Letztendlich muss man aber auch berücksichtigen,
dass mit solchen Aussagen auch Ängste geschürt werden können. Denn die
Vorstellung, dass Aerosole stundenlang in der Luft bleiben und
eingeatmet werden, ohne dass es einen richtigen Schutz dagegen gibt,
kann auch unangenehm sein. Also vielleicht wollte die WHO auch erst
einmal sicher gehen, ob dieser Übertragungsweg bei Sars-CoV-2 überhaupt
von Bedeutung ist. Allerdings haben die Ausbruchsszenarien schon
gezeigt, dass Aerosole eine Rolle spielen, weil sich eben Menschen
infiziert haben, die sich weit entfernt voneinander aufgehalten haben.
Wie genau verbreiten sich Aerosole in geschlossenen Räumen?
Eine infizierte Person reicht aus, damit ein Raum innerhalb von ein
paar Minuten voll mit Aerosolen ist. Man kann sich das vorstellen, wie
ein Raucher, der permanent im Raum Rauch ausstößt. Selbst in acht oder
zehn Metern Entfernung ist der Rauch nach ein paar Minuten wahrnehmbar.
Virenbeladene Aerosole sind sogar noch ein bisschen kleiner als
Rauchpartikel und schweben dadurch noch besser.
Sobald eine Person im Raum ist, gibt es immer eine Luftbewegung, die die
Aerosole verteilt. Denn der Mensch ist wie ein kleiner Heizkörper: Wir
geben Wärme ab, sodass Luft nach oben strömt. Innerhalb von wenigen
Sekunden sind die ausgeatmeten Partikel an der Decke – und danach
verteilen sie sich links, rechts und überall im Raum, um an anderer
Stelle wieder herabzusinken. Das heißt, wir sind so eine Art Mixer, der
die ganze Raumluft umwälzt.
Das heißt, je mehr Menschen in einem Raum sind,
desto mehr wird die Raumluft vermischt und desto schneller verteilen
sich die Partikel.
Genau. Jede einzelne
Person trägt dazu bei, dass die Luft umgewälzt wird. Wenn zwei Personen
in einer Turnhalle stehen würden, dann gebe es nur eine sehr geringe
Luftbewegung, weil es ein riesiger Raum ist. Wenn aber in dieser Halle
hunderte Menschen stehen, dann wird die Luft auch sehr schnell
durchmischt. Dazu braucht es nicht einmal eine Belüftungsanlage, sondern
wir als Menschen verteilen die Partikel sehr schnell im Raum. Hinzu
kommt, dass die Lüftungsanlage nicht so viel Luft transportiert, wie wir
als Menschen durch unsere Heizwirkung bewegen. Deshalb ist auch die
Aussage, dass Lüftungsanlagen Virenschleudern sind, eigentlich nicht
haltbar.
Wie können wir der Aerosolverbreitung entgegenwirken?
Im Alltag kann man das ausschließlich mit Frischluft machen. Auch
Klimaanlagen, die nicht nur die Luft herunterkühlen – wie man es
beispielsweise aus Büroräumen kennt –, sondern gleichzeitig Frischluft
von draußen in den Raum transportieren, können hilfreich sein. Denn
sobald Frischluft in den Raum gelangt, geht verunreinigte Luft an
anderer Stelle wieder heraus. Ansonsten gibt es noch mobile
Umluftgeräte, die die Luft aus dem Raum absaugen und filtern.
Keine goldene Regel fürs Lüften
Wenn wir von Frischluft sprechen, reicht es da schon ein Fenster zu öffnen?
Bei der Fensterlüftung kommt auch frische Luft von draußen in den Raum
herein und verbrauchte Luft geht durch das Fenster heraus, allerdings
ist die Fensterlüftung nicht verlässlich. Denn wir wissen im Einzelfall
nicht, wie viel Luft durch das Fenster gelangt. Es gibt auch keine
goldene Regel wie “Halten Sie fünf Minuten das Fenster auf und alles ist
gut”. Die Effektivität der Fensterlüftung hängt davon ab, wie stark der
Wind draußen weht und wie groß die Temperaturdifferenz zwischen drinnen
und draußen ist.
Man müsste also immer in regelmäßigen Abständen die Fenster komplett
öffnen. Denn durch ein gekipptes Fenster gelangt nicht wirklich viel
Luft herein. Man kennt es, manchmal kommt durch die Fenster gefühlt gar
nichts hindurch und im Winter werden sie ganz schnell wieder zugemacht,
weil es zu kalt wird. Viele Leute denken, wenn es drinnen kalt ist, ist
die Luft frisch im Innenraum. Das stimmt nicht. Selbst wenn man das
Fenster nur fünf Minuten öffnen würde, reicht es nicht aus, um die
Verunreinigungen in den Innenräumen herauszutransportieren. Sobald die
Fenster wieder geschlossen werden würden, wäre die Aerosolkonzentration
nicht bei Null und würde daraufhin weiter steigen.
Wie erforschen Sie die Ausbreitung von Aerosolen überhaupt?
Wir erstellen dazu viele Simulationen und numerische Gleichungen, haben
aber auch große Versuchshallen, in denen wir unterschiedliche
Räumlichkeiten nachbauen. Angefangen vom Büro über den Klassenraum bis
hin zu Sitzreihen eines A320-Flugzeuges. In diesen Räumlichkeiten führen
wir dann Experimente durch. Eine Schwierigkeit ist dabei, dass sich
diese kleinsten Partikel aus der Atemluft nur schwer separiert messen
lassen, weil wir als Menschen schon viele abgeben, zum Beispiel in Form
von Hautschuppen – und das sind deutlich mehr als aus der Atemluft.
Deshalb nutzen wir künstliche Partikel, also mit Helium gefüllte
Bläschen, die wir in einen Raum hineingeben und die sich genauso
verhalten wie Aerosole. Mithilfe von Hochgeschwindigkeitskameras können
wir dann die Bewegung der Partikel genau verfolgen und sehen, wohin sie
sich bewegen. Solche Ausbreitungstests führen wir mit verschiedenen
Lüftungssystemen durch. Diese Experimente sind sehr aufwendig und dauern
recht lange, deswegen bedienen wir uns auch numerischen Methoden, die
viel schneller gehen und eine sehr gute Genauigkeit im Vergleich zum
Experiment haben.
Sie haben beispielsweise auch untersucht, wie sich Aerosole in einem
Klassenzimmer verbreiten. Dabei konnten Sie feststellen, dass innerhalb
von zwei Minuten der gesamte Raum voll mit diesen kleinsten Partikeln
ist. Was bedeuten diese Erkenntnisse für den bald startenden
Regelbetrieb an Schulen nach den Sommerferien?
Ich betrachte das sehr kritisch. Dazu muss man wissen, es gibt vier
Einflussgrößen im Hinblick auf die Aerosolkonzentration. Erstens: Wie
viel stößt ein Mensch überhaupt an Aerosolen aus? Diese Komponente
variiert je nach Tätigkeit. Beim Atmen stoßen wir beispielsweise weniger
Aerosole aus als beim lauten Singen. Die zweite Komponente ist die
Raumgröße. Sprich, je größer der Raum ist, desto länger dauert es, bis
sich die Aerosole verteilen und eine bestimmte Konzentration erreichen.
Die dritte Komponente ist die Frischluftmenge und die vierte die
Aufenthaltsdauer. Je länger eine Infizierte oder ein Infizierter im Raum
sitzt, desto mehr Aerosole atmet sie oder er aus, und die gesunden
Personen atmen die mit Viren beladenen Aerosole permanent ein. Das
heißt, die Aufenthaltsdauer ist in jedem Fall ein Risikofaktor. Es ist
seit mehreren Jahren bekannt, dass die Luftqualität und das
Lüftungsverhalten in Klassenzimmern in der Regel nicht besonders gut
sind. Sprich, es muss ein ganz anderes Lüftungsverhalten entwickelt
werden – und die Schüler und Lehrkräfte müssten sich weniger in den
Räumlichkeiten aufhalten.
Alle 15 bis 20 Minuten stoßlüften?
Wie müssten das Lüftungsverhalten und die Aufenthaltsdauer in den Räumen genau aussehen?
Auf jeden Fall verkürzt. Grundsätzlich kann man eigentlich nur
empfehlen, die Fenster wie im Sommer permanent offen zu lassen. Das ist
im Winter natürlich schwierig. Dann sollte auf jeden Fall versucht
werden, die Fenster so lange wie möglich auf Kipp zu halten, sodass
permanent ein Luftaustausch stattfindet. Oder es müssen wenigstens alle
15 bis 20 Minuten für ein paar Minuten die Fenster komplett geöffnet
werden. Also viel öfter als bisher.
Auch die Aufenthaltsdauer in den Räumen sollte so kurz wie möglich sein.
Teilweise halten sich die Schüler und Lehrkräfte knapp zwei Stunden in
einem Raum auf – das ist viel, viel zu lange. Unsere Berechnungen würden
ungefähr sagen: 30 Minuten Unterricht, 15 Minuten Pause. Die Pause
müsste viel länger sein und es sollte kräftiger gelüftet werden. Und die
Unterrichtszeiten müssten eigentlich kürzer sein. Ob das jetzt sinnhaft
und umsetzbar ist, sei dahingestellt, aber es soll ein Anstoß sein, um
zu schauen, was alles verändert werden kann.
Derzeit wird auch über eine Maskenpflicht für Schüler diskutiert. Was sagen Sie dazu?
Wenn die Schüler tatsächlich im Regelbetrieb sind und alle
Abstandsgebote fallen, wie es jetzt angedacht ist, dann müssen auf jeden
Fall Masken getragen werden. Da spielt dann nicht nur die
Aerosolkomponente eine Rolle, sondern auch die Tröpfcheninfektion. Die
Tröpfchen können wirkungsvoll mit den Masken aufgehalten werden. Zwar
gehen Aerosole zu 90 Prozent an den Maskenrändern vorbei, allerdings
verhindern die Masken, dass mein Gegenüber meinen Atemluftstrom direkt
abbekommt. Stattdessen wird der Luftstrom umgelenkt. Die Aerosole
gelangen in die Raumluft, aber nicht mehr in hochkonzentrierter Form auf
mein Gegenüber. Solange keine Abstandsregeln eingehalten werden, muss
meiner Meinung nach also eine Maske getragen werden.
Sie sprachen vorhin selbst an, dass Aerosole in
der Lage sind größere Distanzen zu überwinden. Die Medizinerin Lidia
Morawska hat im Appell an die WHO darauf aufmerksam gemacht, dass sich
Aerosole bei normalen Luftbewegungen in Innenräumen mehr als zehn Meter
weit verteilen können. Wie wirksam sind dann noch Abstandsregelungen von
1,5 bis zwei Metern?
Diese
Abstandsregelungen sind sowohl für eine Tröpfchen- als auch eine
Aerosolinfektion von Bedeutung. Die Tröpfchen fallen innerhalb dieser
1,5 Meter zu Boden, während sich die Aerosole immer weiter verdünnen.
Das heißt, je weiter ich von einer infizierten Person entfernt bin,
desto niedriger ist dort die Konzentration der zuvor ausgeatmeten,
virenbeladenen Aerosole. Also entweder Abstandsregelungen oder
Maskentragen – eines von beiden muss definitiv sein.
Sie raten in Ihren Studien zudem zu CO₂-Ampeln. Wieso?
CO₂-Ampeln machen Sinn bei mit Fenstern belüfteten Räumen, um die
Luftqualität festzustellen. Denn CO₂ ist ein Indikator, wie viel
Frischluft in den Raum hineinkommt. Grün bedeutet dann, es ist eine
ordentliche Frischluftzufuhr gewährleistet. Gelb meint, jetzt sollte
mehr gelüftet werden, und Rot steht für eine hygienisch bedenkliche
CO₂-Konzentration. Etwas Einfacheres gibt es momentan nicht. Denn die
Schwierigkeit ist eben, dass man Viren nicht messen kann. Mithilfe von
CO₂-Ampeln können wir also ein effektives Lüftungsverhalten erlernen.
...
LG
Renate